Die Ebenen des Spieles

Prolog

Wir erzählen dauernd und fortwährend Geschichten. Uns selbst von dem was und wer wir glauben zu sein, was wichtig und bedeutsam oder unwichtig, gut oder schlecht ist. Wie wir uns selbst Geschichten erzählen, erzählen wir sie auch anderen und bekommen sie von anderen auf unterschiedliche Arten und Weisen erzählt. Manche Geschichten halten wir für wahrhaftig, authentisch und wahr, andere für erfunden.

Hier geht es darum, dass ein paar Menschen – die Gruppe – innerhalb der beschränkten Zeit von ein ein paar Stunden – der Spielzeit – ein möglichst dichtes, intensives, tiefes und befriedigendes Erzählerlebnis erfahren, bei dem im besten Falle jedes einzelne Mitglied dieser Gruppe Antworten auf Fragen oder anhaltende, befriedigende Erfüllung der eigenen Wünsche an die Erzählung erlebt.
Im Bezug auf das Erleben während des Spiels gibt es verschiedene Ebenen, die eine Rolle spielen und die während des Spiels immer wieder (am besten gemeinsam) durchlaufen werden.

  1. Außerhalb
  2. Metaebene
  3. Erzählebene
  4. Erlebensebene

Im Ganzen startet man ganz allgemein außerhalb des Spieles und steigt dann über die Metaebene der Planung in das gemeinsame Spiel ein. Auf dieser Metaebene einigen sich alle Spieler der Gruppe über ihre Ziele, Wünsche und Ideen.

Danach bewegt man sich gemeinsam über das Erzählen in die lebendige Geschichte aus Aktionen, Szenen, Erzählen und Erleben, um sich bei Bedarf erneut auf der Metaebene darüber klar zu werden, was man wie erlebt hat und in der nächsten Szene erleben möchte, um dann wieder über die Erzählung in eine neue Szene einzutauchen.

Es ist wichtig jede der Ebenen wahrzunehmen und zu würdigen. Jede Ebene ist auf ihre Art wichtig für das Gelingen der gemeinsamen erlebten Geschichte. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Ebenen sind wichtige Schritte im Spiel und müssen immer gemeinsam gegangen werden. Manchmal kann es sein, dass ein Spieler oder eine Spielerin noch nicht bereit ist die aktuelle Ebene zu verlassen und in die nächste einzutauchen. Eine gute Gruppe achtet darauf, dass es all ihren Spielern gut geht und dass sie bereit für den nächsten Schritt sind.

Die Struktur gemeinschaftlichen Geschichtenerlebens

Erfinden auf der Metaebene

Auf der Metaebene sind wir schon mitten im Spiel. Die Spieler tauschen sich auf dieser Ebene jenseits der tatsächlichen Geschichte (Out of Story) über die Geschichte, ihre Elemente, Wünsche, Ideen und ihre Performance aus. Hier wird geplant und abgestimmt, beschlossen, überlegt, nachgedacht, gesammelt und sortiert. Zunächst beginnt das Spiel, besonders in der Session Zero, auf der Metaebene mit dem Sammeln und abstimmen von Ideen, Wünschen und Elementen der Geschichte. Hier wird der Boden für das Spiel und seine Erzählung zu bereitet.

Hier spricht man eher abstrakt, denkt über die vergangene oder zukünftige Geschichte nach und spricht über sie.

Die erste Fragerunde und der Einstieg in das Spiel.

Zu Beginn des Spiels in der Session Zero ist es wichtig, sich über Grundlegendes zu einigen. Die gemeinsam erzählten Geschichten werden in derjenigen Welt spielen (und sie formen), auf die sich die Gruppe geeinigt hat. Es ist ein Reich der machtvollen Phantasie, in der man jede Welt bereisen, seine tiefen Abgründe erforschen und das unmögliche wahr sein kann. Es ist auch ein Reich der Wahrheit, in dem für uns Wichtiges verschoben und verfremdet als Muster, Symbol oder Personifikation begegnet und nachdrücklich darauf pocht von uns wahrgenommen zu werden.

Worum soll es also in der Geschichte gehen? Welche Fragen drängen auf Beantwortung und auf welche Reise wollen sich alle SpielerInnen gemeinsam begeben?

Hier ein paar Fragen für die erste Fragerunde, die allen vorgelesen werden sollten und für die dann dann jedeR SpielerIn 10 Minuten Zeit nimmt sie auf einzelnen Karten zu beantworten.

  1. Worum geht es? Eine verbotene Liebe? Ein Verrat? Eine verlorene Hoffnung oder eine erblühende? Ein Geheimnis, dass gelüftet werden will? Gibt es ein Problem, eine Herausforderung, die es zu lösen gilt? Gibt es ein Abenteuer zu bestehen oder Rätsel zu lösen?
  2. In was für eine Welt will ich eintauchen und wo soll die Geschichte spielen? In was für einem Genre, Szenario und in welcher Zeit soll die Geschichte stattfinden?
  3. Sind besondere Figuren, Orte oder Dinge wichtig und sollen oder müssen auftauchen?
  4. Was möchte ich sonst noch haben oder erleben?

Am besten man notiert ein kurzes Stickwort auf eine Karte (Din A6 – Din A8 Karteikarten, Zettel, Post-its) und sammelt diese. In dieser Phase können auch alle mitgebrachten und im Vorfeld erdachten Ideen hinzugezogen werden. Manchmal ist es sinnvoll, dass sich die Spieler in dieser Phase beschränken und jeder Teilnehmer nicht mehr als 5-10 Ideen einbringt.

Auf einer solchen Karte hat nur ein Gedanke, ein Element, einen Wunsch oder eine Idee Platz. Dabei muss sie so geschrieben sein, dass auch andere sie aus einem Meter Entfernung gut lesen können. Am besten also in Druckbuchstaben und nicht mehr als 3 Zeilen mit insgesamt maximal 5 Worten.

Ein Namenskürzel oder eine Zuordnung zu einerM MitspielerIn braucht die Karte nicht, denn nachdem sie dem Tisch hinzugefügt und kurz vorgestellt wurde, ist sie Teil des Spieles und nicht mehr im Besitz des Spielers oder der Spielerin, der oder die sie ursprünglich geschrieben hat. Auf die Rückseite kann man geheime Informationen, die erst im Verlauf der Geschichte offenbar werden sollen, notieren. Hierbei gilt die Regel, dass ein Spieler sich die Rückseite einer Karte nur ansehen darf, wenn alle anderen Spieler einverstanden sind.

Sind die 10 Minuten um, endet die individuelle Schreibphase. Jetzt wird durch einen Würfelwurf die Reihenfolge der Vorstellenden festgelegt, wobei der oder die ModeratorIn als letztes dran kommt. Dies funktioniert wie folgt: jedeR SpielerIn würfeln mit einem W10, je kleiner die gewürfelte Zahl ist, desto früher stellt man vor. Haben zwei oder mehr Spieler die selber Zahl gewürfelt, stellen diese untereinander über einen neuen Wurf die Reihenfolge fest, so dass es dann eine feste Reihenfolge der Spieler gibt, mit dem oder der ModeratorIn als Schlusspunkt.

Dann stellt jedeR SpielerIn reihum seine Karten den anderen kurz vor und legt sie auf der Tischfläche ab, so dass sie von allen gut zu sehen sind. Gegebenenfalls passen einzelne Karten schon zu anderen auf dem Tisch oder widersprechen diesen, dann sollten sie jetzt schon spontan zueinander gelegt werden. Der eigentliche Prozess des Sortierens kommt aber später. Diese erste Runde findet statt, ohne dass Karten oder Ideen der anderen Mitspieler und Mitspielerinnen kritisiert oder bewertet werden.

Erst wenn alle Karten auf dem Tisch liegen, wird verhandelt welche Karten bleiben oder wie sie in die Geschichte aufgenommen werden könnten.

Eine gemeinsame Geschichte lässt sich nicht vollends im Vorhinein planen. Sie entsteht während sie erzählt wird, es kommen neue Elemente hinzu und überraschendes geschieht, wenn man sich in der Geschichte befindet und das ist auch gut und wichtig so.

Setting und Genre des Spiels

Das Setting ist die Welt, in der die Geschichte spielen soll. Diese Welt kann einem Film, einer Serie oder einem Buch entlehnt sein, wie z.B. „Herr der Ringe“, „Game of Thrones“, „Star Treck“, „Star Wars“, „Harry Potter“, „My little Pony“ oder einer beliebigen anderen, den Spielern bekannte Welt.Sie kann aber auch komplett gemeinsam erfunden werden. Für den Start ist es manchmal einfacher eine bekannte und gut beschriebene Welt zu benutzen, früher oder später fängt aber die Gruppe an, sich eine eigene Welt zu erschaffen oder bestehende nach ihren Vorstellungen abzuändern.

Das Genre beschreibt welche Art Geschichte die Spieler erwarten können und gemeinsam erzählen wollen. In der nebenstehenden Liste sind ein paar Beispiele für Genres. Viele dieser Genres haben auch noch zahlreiche Subgenres und sie lassen sich auch miteinander und den Settings kombinieren, wie z.B. zu einer Piratenkomödie im Weltraum.

Hier ein paar Beispiele für verschiedene Genres: Abenteuer, Action, Detektiv, Drama, Fantasy, Gangster, Horror,Kinder und Jugendliche, Komödie, Krieg, Liebe, Martial-Arts, Piraten, Roadmovie, Spionage, Thriller, Western, Zombi

Szenarienhelfer

Einmal mit einem W10 würfeln und das Szenario verwenden, zum weiteren Verfeinern noch einmal würfeln, bis es spannend und interessant wird. Bei Bedarf wiederholen.

  1. Katastrophen, Krieg, Apokalypse, Seuchen
  2. Heute, Hier und Jetzt vielleicht an einem anderen Ort, in einer anderen sozialen Schicht oder Klasse
  3. Abenteuer, Reise in ein fernes Land / Road Movie, Schatzsuche
  4. Vergangenheit: Western, Entdecker, Piraten, Mittelalter, Steinzeit …
  5. Science-Fiction
  6. Fantasy, Märchen, Magie
  7. Krimi, Gangster, Mafia, Film Noire, Thriller, Psycho
  8. Action, Martial-Arts, Hack & Slay
  9. Horror, Mystery, Zombi, Geister, Surreal, Wir sind Tiere, Monster, Wesen
  10. Liebe, Drama, Komödie, Tragödie

Das Sortieren der Karten

Jetzt liegt die erste Version aller Wünsche und Ideen der Gruppenmitglieder auf dem Tisch.

Nun geht es darum gemeinsam Ordnung in diese Sammlung zu bringen, sich gegenseitig zu verstehen und die Komplexität der Sammlung zu reduzieren. Lässt sich aus diesen Ideen eine Geschichte formen? Kann man die einzelnen Elemente in Zusammenhang bringen? Widersprechen sich Elemente oder lassen sie sich nur schwer unter einen Hut bringen? Bilden sich Cluster von zusammengehörigen Elementen an? Am besten schauen sich erstmal alle Gruppenmitglieder die Gesamtheit der Karten an.

Dann haben nach der vorherigen Reihenfolge alle SpielerInnen die die Möglichkeit einen Spielzug zu machen und sollten diesen auch wahrnehmen:

Eine Antwort bekommen

Bei diesem Spielzug kann man zu einer Karte eine Frage stellen und eine Antwort darauf bekommen. Dabei sollte die Frage möglichst kurz und prägnant sein und die Antwort ebenso.

Eine Karte hinzufügen

Ein Zug kann darin bestehen, dass ein Spieler eine neue Karte der Sammlung. Dies tut er dadurch, dass er eine neue Karte nimmt, diese beschreibt und dem Spielfeld hinzufügt. Dabei muss er erklären, welchen Sinn und Zweck er mit dieser Karte verfolgt und warum sie genau an dieser Stelle liegen soll. Nach dieser Beschreibung müssen alle anderen Spieler zustimmen, dass die neue Karte hinzugefügt wird. Ist dem nicht so, wird sie wieder entfernt.

Eine Karte entfernen

EinE SpielerIn kann eine Karte entfernen und sie außerhalb der Sammlung ablegen. Damit ist die Karte zunächst einmal aus dem Spiel. Dabei muss die der der SpielerIn dies begründen und nur wenn kein anderer Spieler widerspricht und sein Veto einlegt, wird die Karte (zunächst) aus dem Spiel entfernt.

Eine Karte zurückholen

EinE SpielerIn kann eine Karte zurückholen, die zuvor entfernt wurde und sie außerhalb der Sammlung abgelegt wurde. Damit ist eine, die entfernt wurde Karte, die zuvor entfernt wurde. Dabei muss die oder der SpielerIn dies begründen und nur wenn kein anderer Spieler widerspricht und sein Veto einlegt.

Einen Cluster (um)bilden

Ein Cluster ist eine Sammlung von einzelnen Karten unter einer Überschrift. Damit werden die einzelnen Karten unter diesen Kontext gestellt. Dies hilft oft dabei Kontexte zu schaffen und Elemente in Bereichen zusammenzufassen- Mit dem Erfolg Ideen und Wünsche einzelner gemeinsam als Gruppe in den Griff zu bekommen. Dazu wird eine Karte mit einer Überschrift versehen (unterstrichene Schrift) und unter diese anderen dazu passenden Karten gruppiert.

Veto einlegen

JedeR SpielerIn kann im Rahmen des Sortierungsprozesses zweimal Veto einlegen und eine Aktion einer oder eines anderen SpielersIn unterbrechen. Dabei muss er oder sie ihr Veto begründen.

Weitergeben

JedeR SpielerIn kann seine eigene Aktion aussetzen und an die oder den nächsten SpielerIn weitergeben.

Abschließen

Wurde von allen Spielern durchgängig weitergegeben und gibt es keine Änderungen mehr, schließt der oder die ModeratorIn – nach einer einmaligen Nachfrage, ob es an dieser Stelle noch Ergänzungen oder Änderungen gibt – die Klärungsrunde und steigt in die nächste Runde ein.

Sind genug Elemente gesammelt und in Struktur gebracht, geht es in die Vorbereitung des Szenenspiels.

Der Übergang zum Erzählen

Noch ganz auf der Metaebene einigt man sich, welche Elemente in der ersten Erzählphase gebraucht werden, die zur ersten Szene hinführt. Jetzt werden diejenigen Karten, die zu Beginn der gemeinsamen Erzählung auftauchen sollen in den Bereich SZENE gelegt.

Jetzt sollte man sich die Frage stellen, was wird ggf. noch benötigt, um die folgende Szene gut spielen zu können? All das muss erzählt werden, um die Szene gut spielen zu können.

  1. Was ist in der Vergangenheit geschehen und ist wichtig für die kommende Szene?
  2. Wo spielt die Szene? Wie sieht es dort genau aus? Wie riecht es, was hört man?
  3. Wie sind die einzelnen Figuren dorthin gekommen? Was für eine Stimmung herrscht?
  4. Was müssen alle Spieler wissen und sich vergegenwärtigen, um die kommende Szene gut spielen zu können?

Schließt die aktuelle Szene an eine vorherige an und sind die Spieler “im Bilde”, kann die Annäherung schnell von statten gehen, ist es aber die erste Szene, sollte man sich Zeit für diese Phase lassen.

Vor jeder Szene sollte entschieden werde, wer diese Szene moderiert.

Am besten jeder Spieler übernimmt einen Aspekt nach dem anderen und jeder fügt der Szene ein Detail nach dem anderen hinzu.

Wenn diese Planungsphase beendet ist, also alle SpielerInnen nichts mehr hinzufügen, beginnt das Erzählen.

Erzählen

Nach der Metaebene ist die Erzählebene (Out of Time) die zweite Ebene des gemeinsamen Erzählens. Hier werden Ereignisse berichtet, Orte beschrieben und Situationen umrissen, Charaktere oder Institutionen vorgestellt und wichtige Geschehnisse der Vergangenheit erzählt, die für die kommende(n) Szene(n) wichtig sind. Hier können große zeitliche und räumliche Entfernungen zurückgelegt oder Zusammenhänge und Hintergründe beschrieben werden. Die erzählten Ereignisse und Elemente bilden das Gerüst und die Knochen der späteren Szenen, durch die sich die Geschichte formt. Auf der Ebene des Erzählens nähert man sich der nächsten Szene an und „zoomt“ in die Szene von außen hinein.

Das Erzählen sollte in der Vergangenheitsform und in der dritten Person stattfinden. Das alleine erzeugt noch einen gewissen Abstand zu den Orten, Ereignissen und Figuren, die man gewissermaßen von außen beschreibt und macht einen wichtigen Unterschied zur Phase des Erlebens aus.

Mit dem Wechsel in die Szene müssen die Spieler von Charakteren einen zentralen Schritt gehen, denn sie müssen in ihren Charakter wechseln und diesen spielen und verkörpern. Dazu müssen SpielerInnen zwischen Charakterwissen und SpielerInnenwissen strikt unterscheiden. Zwar können sie als SpielerIn in der Szene Elemente inszenieren, aber es muss klar sein, was der Charakter macht und was die oder der SpielerIn.

Erleben

Das Sprechen, Denken und Handeln der Charaktere findet in den Szenen am Besten in der ersten Person, in der Gegenwartsform und in der direkten Interaktion (in time) statt. Hier bestimmt die direkte Rede, das Beschreiben aller aktuell wahrnehmbaren Dinge und Aktionen der Erzählung. Hier denkt und handelt man in der Geschichte. Am besten unterscheidet man direkte Charakteraktionen und zu erzählende Elemente durch einen Wechsel in der ersten („Ich“) und in der dritten Person („Er“, „Sie“). Obwohl es die Kernaufgabe des oder der ModeratorsIn ist, die Umgebung und NPCs zum Leben zu erwecken, können auch die SpielerInnen der Umwelt etwas hinzufügen, das unabhängig von den Aktionen ihres Charakters ist.

Auf der Ebene des Szenenspiels sind die Gefühle und die Verbindung mit der Geschichte am intensivsten und das was hier geschieht bestimmt die Realität der Geschichte. Die Geschichte und das Erleben finden in den Szenen statt und das, was hier geschieht sind die Tatsachen, die die Grundlage der weiteren Geschehnisse der weiteren Geschichte bilden.

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